Pflegeversicherung in Deutschland – Wer zahlt für gute Pflege?
Früher oder später muss sich wohl jeder mit Pflege und der Pflegeversicherung auseinandersetzen. Die meisten werden darauf gestoßen, weil ihre Eltern oder weil sie selbst plötzlich Pflege benötigen. Spätestens dann stellt sich die Frage, was gute Pflege kostet und wie der Pflegefall eigentlich finanziert wird. In Deutschland müssen alle Bürgerinnen und Bürger ihr Pflegerisiko mit einer Pflegepflichtversicherung absichern. Da diese gesetzliche Pflegeversicherung die Kosten für die Pflege jedoch bei Weitem nicht deckt, sollte sich jeder zusätzlich privat für den Pflegefall absichern.
1. Pflegesystem
Früher war alles anders: Die Familie vom Säugling bis zum Greis wohnte unter einem Dach, die Alten kümmerten sich um die Jungen und umgekehrt. Dieses Bild hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend geändert. Heutzutage gibt es kaum noch Familien, die so zusammenleben und rund um die Uhr füreinander da sein können. Zudem altert die deutsche Gesellschaft und es gibt immer weniger junge Menschen, die sich neben ihrem Beruf um ihre pflegebedürftigen Angehörigen kümmern können. Die gestiegene Lebenserwartung dank des medizinischen Fortschritts führt außerdem dazu, dass immer mehr alte Menschen immer länger Pflege benötigen.
1.1 Das deutsche Pflegesystem
Jeder, der in Deutschland lebt und Pflege benötigt, kann sich durch Angehörige und/oder Pflegedienstleister pflegen lassen. Wer eine ambulante oder eine stationäre Pflege in Anspruch nehmen möchte, schließt mit einem selbst gewählten Dienstleister einen Vertrag. Hier stellt sich für Betroffene vor allem die Frage, wie viel Geld die Pflege dann kostet. Die Antwort ist für die meisten ein Schock: Denn die durchschnittlichen Kosten für die Rund-um-Pflege in einem Pflegeheim liegen aktuell bei ungefähr 3.000 Euro – pro Monat. Die gesetzliche Pflegeversicherung ist in Deutschland als Teilkaskoversicherung konzipiert, so dass sie davon höchstens 1.550 Euro übernimmt. Ohne eine entsprechende private Absicherung müssen Pflegebedürftige und deren Familie also jeden Monat rund 1.400 Euro für die Pflege aufbringen – und das möglicherweise über viele Jahre hinweg. Für Pflegebedürftige, die rechtzeitig eine zusätzliche, private Pflegeversicherung abgeschlossen haben, übernimmt die private Versicherung einen Großteil oder sogar sämtliche Pflegekosten.
1.2 Betreuungsmöglichkeiten
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen ambulanter Pflege (zu Hause) und stationärer Pflege (im Pflegeheim / Altenheim). Dazwischen gibt es aber natürlich viele Abstufungen. So reicht Pflege zu Hause von der Unterstützung durch im Haushalt lebende Angehörige über gelegentliche Besuche eines Pflegedienstes bis hin zur Vollzeitpflegekraft, die mit in der Wohnung der zu pflegenden Person lebt und diese 24 Stunden am Tag betreut.
Wer nicht mehr zu Hause leben kann hat mittlerweile auch mehr Optionen. Es gibt viele Anbieter von betreutem Wohnen. Dabei lebt man weiterhin in einer eigenen Wohnung, diese liegt aber in einem Haus des Pflegedienstleisters. Regelmäßige Besuche durch die Pflegekräfte, Einkäufe, frische Mahlzeiten und ein ständig besetzter Notruf-Service gehören dabei meist zum Angebot dazu. Inzwischen gibt es auch ein staatliches Programm für Senioren-WGs. Dort leben alte Menschen zusammen und unterstützen sich gegenseitig im Alltag.
1.3 Typische Pflegekosten
Grundsätzlich gilt leider: Pflege ist teuer und gute Pflege ist noch teurer. Die konkrete Höhe der anfallenden Pflegekosten hängt allerdings von sehr vielen Faktoren ab: Wie viel Pflege wird benötigt? Wer pflegt? Wann, wie und wo wird gepflegt? Wie lange wird gepflegt? Typische Pflegekosten sind schwer anzugeben, da sie von Pflegefall zu Pflegefall sehr unterschiedlich ausfallen können.
Jemand, der die meiste Zeit zu Hause von seinen Angehörigen oder einem Ehrenamtlichen gepflegt werden kann, muss mit anderen Kosten rechnen als jemand, dessen häusliche Pflege durch einen professionellen, ambulanten Pflegedienst erfolgt. Und auf einen Pflegebedürftigen, der eine sogenannte teilstationäre Pflege, also eine Tages- oder Nachtpflege in einer Pflegeeinrichtung, in Anspruch nimmt, kommen gänzlich andere Kosten zu als auf einen Pflegebedürftigen, der vollstationäre Pflege in einem Pflegeheim braucht.
1.4 Pflegestufen und Pflegegutachten
Welche Leistungen die Pflegeversicherung übernimmt, hängt vom jeweiligen Hilfebedarf des Pflegebedürftigen ab. Um den konkreten Bedarf zu ermitteln, erstellen der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK), die Medicproof GmbH oder ein unabhängiger Gutachter ein Pflegegutachten und ordnen dem Pflegebedürftigen eine sogenannte Pflegestufe zu. Je nach Grad der Pflegebedürftigkeit wird der Begutachtete in die Pflegestufe 0, I, II oder III eingestuft. Diese Einstufung hat im Anschluss erhebliche Folgen für die Finanzierung der Pflege und entscheidet darüber, welche Leistungen sowohl die gesetzliche als auch die private Pflegeversicherung übernehmen.
2. Historische Entwicklung der Absicherung
Die gesetzliche Pflegeversicherung gibt es in Deutschland seit 1995. Jeder, der in der Bundesrepublik krankenversichert ist, ist automatisch in dieser Pflegeversicherung pflichtversichert. Die Pflichtversicherung wurde damals eingeführt, um Pflegebedürftige und deren Angehörige finanziell zu entlasten. Die Leistungen der Sozialversicherung werden durch Beiträge finanziert, die jeder Pflichtversicherte (und anteilig dessen Arbeitgeber) zu entrichten hat. Da es aufgrund der demografischen Entwicklung künftig aber immer weniger Beitragszahler und immer mehr Leistungsempfänger geben wird, diskutiert die Politik aktuell intensiv über eine Beitragserhöhung in der gesetzlichen Pflegeversicherung. Die neueste Pflegereform unter Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sieht eine Anhebung des Beitragssatzes vor, um künftig bessere Leistungen für Pflegebedürftige gewährleisten zu können.
2.1 Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung
Die umlagefinanzierte Pflegeversicherung gibt es in Deutschland seit dem 1. Januar 1995. Die damals schwarz-gelbe Bundesregierung leitete die gesetzliche Absicherung für das Pflegefallrisiko unter der Leitung von Norbert Blüm und Karl Jung in die Wege. Damals gab es vor allem einen Grund für die Pflegepflichtversicherung: Die Anzahl der Pflegebedürftigen stieg seit Mitte des 20. Jahrhunderts spürbar an und immer mehr Pflegebedürftige mussten Sozialhilfe in Anspruch nehmen. Um die steigenden Kosten für die Sozialhilfeträger künftig im Rahmen zu halten, wurde die gesetzliche Pflegeversicherung eingeführt.
2.2 Pflegereformen und derzeitige Absicherung
Seit Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung gab es bereits mehrere Reformvorschläge und Reformen. Insbesondere der Beitragssatz wurde stetig nach oben korrigiert. Dieser lag 1995 noch bei 1,0 Prozent, stieg 1996 auf 1,7 Prozent und lag im Sommer 2008 bereits bei 1,95 Prozent. Mit dem Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz wurde der Beitragssatz zum 1. Januar 2013 auf 2,05 Prozent erhöht und soll in den kommenden Jahren nochmals steigen. Mit den Mehreinnahmen durch die höheren Beiträge sollen umfassendere Leistungen für Pflegebedürftige finanziert werden.
2.3 Entwicklung der privaten Pflegeversicherung und derzeitige Formen der Absicherung
Ein detaillierter Blick auf die aktuellen Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung im Pflegefall macht schnell deutlich: Die gesetzliche Absicherung kann bei Pflegebedürftigkeit lediglich als ein Teilkaskoschutz verstanden werden. Selbst mit verbesserten Leistungen nach der Pflegereform reicht der gesetzliche Schutz allein nicht aus, um im Pflegefall wirklich alle finanziellen Sorgen los zu sein.
Aus diesem Grund empfiehlt die Bundesregierung allen Bürgerinnen und Bürgern seit einiger Zeit den Abschluss einer zusätzlichen, privaten Pflegeversicherung. Hierbei können Versicherungskunden zwischen der Pflegerentenversicherung, der Pflegekostenversicherung und der Pflegetagegeldversicherung wählen. Welche Versicherungsgesellschaft empfehlenswert ist und welcher Tarif die Pflegelücke im Ernstfall optimal schließen kann, hängt von den individuellen Voraussetzungen des Versicherungsnehmers ab und sollte vorab in einem Beratungsgespräch ermittelt werden.
Damit die private Pflegeversicherung keinem verwehrt bleibt, hat die Bundesregierung im Jahr 2013 den sogenannten Pflege-Bahr eingeführt. Dabei handelt es sich um eine private Pflegeversicherung, die der Staat mit 60 Euro pro Jahr fördert. Die geförderten Pflege-Bahr-Tarife schneiden im Test nicht immer sehr gut ab. Sie haben aber gegenüber den nichtgeförderten Pflegetarifen einen entscheidenden Vorteil: Sie können ohne eine Gesundheitsprüfung abgeschlossen werden und stehen somit jedem Interessenten offen. Mit der Einführung der staatlich geförderten Pflegeversicherung hat die Regierung also sichergestellt, dass wirklich jeder eine private Versicherung für den Pflegefall abschließen kann.
2.4 Qualitätssicherung in der Pflege
Die Qualität der Pflege ist und bleibt ein wichtiges Anliegen für den deutschen Gesetzgeber, damit Pflegebedürftige optimal versorgt sind. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) prüft im Auftrag der gesetzlichen Pflegekassen regelmäßig, ob die ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen wichtige Qualitätsstandards einhalten. Mit diesem Pflege-TÜV soll die Pflegequalität gesichert und dauerhaft verbessert werden. Die Ergebnisse der Qualitätsprüfungen werden veröffentlicht, um mehr Transparenz in der Pflege zu schaffen.
3. Pflegeversicherung in anderen Ländern
Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern schneidet die deutsche Pflegeversicherung gut ab. Zwar haben Pflegebedürftige in fast allen EU-Ländern einen gesetzlichen Anspruch auf Pflegeleistungen und in einigen skandinavischen Ländern wie Dänemark oder Finnland werden die Pflegeleistungen auch schon bei geringfügiger Pflegebedürftigkeit gewährt. Doch die freie Wahl der ambulanten Pflegedienste und der Pflegeheime, der hohe Stellenwert der Qualitätssicherung und auch die Unterstützung der Angehörigenpflege in Deutschland werden im Ländervergleich häufig gelobt.
In Italien oder Ungarn zum Beispiel wird die Pflege hauptsächlich noch als Familienangelegenheit gesehen, eine staatliche Unterstützung im Pflegefall gibt es in diesen Ländern kaum. In anderen Ländern ist die Höhe der gesetzlichen Pflegeleistungen vom Einkommen abhängig oder der Qualitätssicherung in der Pflege kommt nur eine geringe Bedeutung zu.
4. Situation der Pflegenden
Die Kostenübernahme ist mittlerweile allerdings nur eines von vielen Problemen, die Pflegebedürftige und deren Familien heute lösen müssen. Eine weitere, nicht zu unterschätzenden Herausforderung ist unter anderem die Suche nach geeignetem Pflegepersonal, das eine qualitativ hochwertige Pflege gewährleisten kann. Da es der Pflegebranche schon seit geraumer Zeit an Nachwuchs mangelt, sind viele Pflegedienste und Pflegeeinrichtungen schlichtweg überlastet. In kaum einer anderen Branche sind der Krankenstand und die Berufsflucht so hoch wie in der Pflege. Das noch vorhandene Personal ist aufgrund der hohen Arbeitslast häufig gestresst und überarbeitet, so dass eine Pflege im Sekundentakt sowohl für die Fachkräfte als auch für die Pflegebedürftigen üblich geworden ist. Wer im Pflegefall mehr als das erwartet, muss entweder mehr Geld für sein Pflegerisiko zurücklegen oder sich nach einer günstigen Alternative umschauen.
4.1 Typische Berufsprobleme
Da es der Pflegebranche an Nachwuchs mangelt, sind viele Pflegedienstleister schon heute überfordert. Viele Pflegekräfte haben schon jetzt physische und psychische Probleme, ein hoher Krankenstand und auch eine frühzeitige Berufsunfähigkeit von Pflegenden sind die dramatischen Folgen. Laut der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) sind Hauterkrankungen, Rückenbeschwerden und Stressbelastungen die häufigsten Gefahren für die Pflegekräfte. Darüber hinaus muss das Pflegepersonal häufig mit Gewalterfahrungen und mit Infektionsgefahren umgehen.
4.2 Pflegekräfte aus dem Ausland
Eine preiswerte Pflegekraft aus dem Ausland zu rekrutieren, ist heutzutage eine Möglichkeit für Pflegebedürftige und Pflegedienstleister. Es gibt bereits einige Firmen, die sich darauf spezialisiert haben, Pflegepersonal aus Süd- und Osteuropa sowie in letzter Zeit vermehrt auch aus dem asiatischen Raum nach Deutschland zu holen. Manch ein Deutscher entscheidet sich mittlerweile auch dazu, für eine bessere Pflege ins Ausland zu ziehen. Hierbei sollte vorab unbedingt geklärt werden, welche Pflegekosten die deutsche Pflegeversicherung dann noch übernimmt und was der Pflegebedürftige in einem anderen Land aus der eigenen Tasche zahlen muss. Die Mehrzahl der älteren Menschen in Deutschland wird sich vermutlich dennoch wünschen, später einmal eine liebevolle Pflege in ihrem gewohnten Umfeld zu erfahren.
4.3 Typische Probleme von Pflegefirmen
Die Pflegefirmen haben in allererster Linie mit dem Personalmangel und dem Personalausfall zu kämpfen. An die Dienstleister werden hohe Qualitätsanforderungen zu möglichst geringen Kosten gestellt, was die ohnehin schon schwierigen Arbeitsbedingungen zusätzlich erschwert.
5. Steuerliche Absetzbarkeit von Pflege
Bei der Pflege gibt es einige steuerliche Aspekte zu beachten, die sowohl die Beitragszahler der gesetzlichen Pflegeversicherung als auch die Leistungsempfänger sowie deren pflegende Angehörige kennen sollten. Da sich das Steuerrecht stetig ändert, empfiehlt sich hier eine professionelle Beratung durch einen Steuerberater oder einen Lohnsteuerhilfeverein.
5.1 Steuerliche Absetzbarkeit von Versicherungskosten
Die Beiträge, die Beitragszahler in die Pflegeversicherung einzahlen, gehören zu den sogenannten Sonderausgaben. Sie können bei der Einkommenssteuererklärung angegeben werden und können sich im Rahmen der festgelegten Höchstbeträge für Vorsorgeaufwendungen steuermindernd auswirken. Steuerberater empfehlen, stets alle gezahlten Beiträge für die gesetzliche und die private Pflegeversicherung in der Steuererklärung anzugeben.
5.2 Steuerliche Absetzbarkeit von Pflegekosten
Pflegekosten können als außergewöhnliche Belastungen in der Steuererklärung angegeben werden und in der Folge die Steuerlast reduzieren. Dies gilt aktuell jedoch nur dann, wenn die Pflegekosten durch eine Krankheit bedingt sind und für die Pflege und Betreuung angefallen sind. Sofern die Pflegekosten altersbedingt sind, können sie derzeit nicht als außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht werden.
5.3 Steuerliche Vorzüge bei unentgeltlicher Pflege von Angehörigen
Wer einen Familienangehörigen in Pflegestufe III pflegt und für diese Pflege keine Einnahmen erhält, kann einen sogenannten Pflege-Pauschbetrag beanspruchen. Bei der betreffenden Pflegeperson kann die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer aktuell um einen Steuerfreibetrag von 924 Euro im Kalenderjahr verringert werden. Sofern höhere Aufwendungen durch die Pflege entstehen, können diese Aufwendungen anstelle des Pflege-Pauschbetrags in der Steuererklärung auch als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht werden.
6. Entwicklung der Pflegesituation in Deutschland
In den kommenden Jahren wird sich die Pflegesituation in Deutschland sicherlich weiter zuspitzen. Professionelle Pflege wird noch teurer werden und nur, wer rechtzeitig für eine mögliche Pflegebedürftigkeit vorsorgt, muss sich dann keine Sorgen machen. Die aktuell geplante Pflegereform soll natürlich einiges in der Pflege verbessern und denjenigen, die schon jetzt auf Pflege angewiesen sind, mehr Leistungen aus der Pflegeversicherung zusichern. Doch wie wird die Pflegesituation in zehn oder zwanzig Jahren aussehen? Dann wird es noch deutlich mehr Pflegebedürftige geben und bislang ist noch unklar, wer all diese Menschen dann pflegen wird. Um diesen Pflegenotstand zu verhindern, müssen weitere Reformen durchgeführt werden. Jeder Einzelne ist in der Zwischenzeit gut beraten, sich frühzeitig die Frage zu stellen: Wie möchte ich später einmal gepflegt werden und wie soll diese Pflege dann finanziert werden?