Pflegetag: Experten warnen vor hohen Erwartungen an gesetzliche Pflegeversicherung

Die Bundesregierung will mit der Beitragserhöhung zur gesetzlichen Pflegeversicherung den ausgerufenen Pflegenotstand abmildern. Experten warnen vor falschen Schlüssen: Die Mehreinnahmen werden an der grundsätzlichen Notwendigkeit privater Pflegeversicherungen nichts ändern.

Jürgen Graalmann, Vorsitzender des AOK-Bundesverbandes äußerte sich am Rande des I. Deutschen Pflegetags in einem in der Ärztezeitung veröffentlichten Kurzinterview zu den durch die Beitragsanhebung entstandenen Perspektiven. Graalmann forderte von der Politik für die anstehende Legislaturperiode die „Umsetzung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs“, die bereits seit zehn Jahren diskutiert werde.

Die Pflegeversicherung muss Angehörige, Bedürftige und Fachkräfte berücksichtigen

Graalmann warnt vor überzogenen Erwartungen an die geplanten Reformen in der Pflegeversicherung und weist darauf hin, dass sowohl Angehörige als auch Pflegebedürftige und Fachkräfte sich viel von der Beitragserhöhung um 0,50 Prozentpunkte in der gesetzlichen Pflegeversicherung versprechen.

Der AOK-Experte gibt zu Bedenken, dass 0,10 Prozent der Beitragserhöhung durch die Politik bereits für den einzurichtenden Vorsorgefonds verplant seien. Weitere 0,20 Prozentpunkte des zusätzlichen Beitragsvolumens entfielen auf geplante Dynamisierungen und andere schnelle Leistungsverbesserungen. Lediglich 0,20 Prozentpunkte und damit rund 2,3 Mrd. Euro stünden für die Umsetzung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs zur Verfügung. Der von einer Expertengruppe im vergangenen Sommer ermittelte Bedarf liege dagegen in einer Spannbreite von 2-7 Mrd. Euro.

Der langfristige Trend in der gesetzlichen Pflege zeigt nach unten

Vor wenigen Tagen fand der erste Deutsche Pflegetag statt. Schon die Betrachtung der übergeordneten und langfristigen Trends macht deutlich, dass eine auskömmliche Absicherung gegen Pflegebedürftigkeit ohne private Versicherungen nicht möglich sein wird. Die bereits heute sehr knappen Mittel werden sich nicht in beliebigen Größenordnungen aufstocken lassen. Die Anzahl der Pflegebedürftigen aber wird von 2,50 Millionen in der Gegenwart auf 3,50 Millionen im Jahr 2030 und 4,30 Millionen im Jahr 2050 anwachsen.

Selbst wenn durch technologischen Fortschritt im weitesten Sinne Effizienzsteigerungen im Pflegesektor möglich sein sollten und zusätzlich die Beiträge zur gesetzlichen Pflegeversicherung um einen vollen zusätzlichen Prozentpunkt erhöht werden kann der Umfang der Pflegeleistungen den Gesetzen der Mathematik folgend nur sinken. Der Vorsorgefonds wird daran ebenso wenig ändern wie Pflegekräfte aus China oder von den Philippinen. Dass sich die Politik mit Aktionismus einer stetig wachsenden gesellschaftlichen Problemstellung annimmt ist in jeder Hinsicht nachvollziehbar. Jeder dem potenziell eines Tages die Pflegebedürftigkeit droht sollte jedoch die Grenzen politischer Entscheidung auf einem solchen Gebiet akzeptieren und sich so jung wie möglich um eigenverantwortliche Lösungen kümmern.

Link zum Interview:

http://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/pflege/article/853908/pflegetag-aok-chef-warnt-grossen-erwartungen.html